Meine schizophrene Mutter – was tun?

Lange wusste ich gar nicht, dass meine Mutter schizophren war und was genau mit ihr los war. Aber, dass sie krank war, war für mich offensichtlich. Sie sprach mit der Wand, mit Menschen, die gar nicht da waren. Wenn ich irgendetwas von ihr wollte, das nicht direkt mit dem zu Hause aber vor allem ihrer alten Welt zu tun hatte, sah sie mich an und sagte: „Was soll das?“ Dann drehte sie den Kopf weg und sagte: „Lassen Sie uns in Ruhe!“

Ihre Diagnose war paranoide Schizophrenie.

Photo by Johannes Plenio

Doch getan wurde wenig, vor allem, weil die Großeltern (mütterlicherseits, die anderen lebten schon nicht mehr) eher mit ihrer eigenen Scham zu tun hatten und mein Großvater tatsächlich zu hoffen schien, dass meine Mutter wieder von selbst gesund würde.

Leider ist diese Hoffnung weitgehend sinnlos, denn die Heilungschancen sind bei Schizophrenie sehr gering – mehr Chancen verspricht eine mögliche Früherkennung, aber das ist noch Zukunftsmusik. In der Regel verschlechtern sich die Symptome weiter und die Krankheit wird schlimmer. Daher ist es gut, wenn möglichst früh etwas getan wird. Nur was?

Krankheitseinsicht

Der wohl wichtigste Faktor ist, ob Deine Mutter krankheitseinsichtig ist. Das heißt, akzeptiert sie, dass sie schizophren ist oder nicht? Das wird vor allem in „guten Phasen“ erkannt. Denn während eines Schubes ist in der Regel nicht zu erwarten, dass die schizophrene Mutter (oder der erkrankte Vater) dies für sich erkennt. Ich würde sogar sagen, dass Schizophrenie vom Erkrankten selbst nicht erkannt werden kann. Meine paranoid schizophrene Mutter sah ihre Umwelt als Bedrohung an (worin sich die Paranoia äußert) und klagte diese an, selbst nicht ganz „richtig im Kopf zu sein“.

Wenn aber das Elternteil die Krankheit akzeptiert, ist schon viel gewonnen! Dann sollte Deine schizophrene Mutter (oder Dein Vater) einen Arzt aufsuchen. Doch das kann schwer sein, denn wann weißt Du, bis wann die „gute Phase“ anhält oder wann die nächste kommt?

Parentifizierung

Übernimmst Du bereits manche dieser Aufgaben: Einkaufen, Wäsche waschen, Putzen, Reparaturen erledigen, sich um Finanzen kümmern? Wenn Du Dich um Deine Eltern kümmerst, ist schon sehr deutlich, dass etwas ganz grundlegendes nicht stimmt: Du übernimmst Aufgaben, die eigentlich gar nicht in Deine Verantwortung fallen, gerade wenn Du noch nicht Volljährig bist.

Das Fachwort hierfür lautet „Parentifizierung“, was man als „Verelterlichung des Kindes“ übersetzen kann, also einer Rollenumkehr, indem das Kind gleichsam zum sich kümmernden „Elternteil“ wird. Das heißt also, dass Du Dinge für die Erwachsenen tust, die eigentlich die Erwachsenen für Dich tun sollten.

Es geht hier also auch darum, dass Du etwas für Dich tust! Das ist sogar das Wichtigste, denn Du hast Dein Leben noch vor Dir!

Das alles klingt vielleicht sehr hart, aber wenn das Ganze noch viele Jahre andauert und Du dann erst merkst, dass Du mit Dir und Deinem Leben nicht vorankommst, hast Du viel Zeit verloren, in der Du Dich hättest um Dich kümmern und für Dich sorgen können.

Belastungen reduzieren

Mittelbar hilft die Unterstützung für deine Eltern natürlich auch Dir. Wenn Deine schizophrene Mutter (oder dein Vater) medizinisch regelmäßig versorgt sind und es eine Betreuung gibt, dann kannst Du Dein Leben leben. Aber dort muss man erst hinkommen! Und das ist nicht so leicht, gerade, wenn Du noch Minderjährig bist.

Mein Rat: Versuche, so weit wie möglich die Belastungen zu Hause zu reduzieren. Das kann heißen, dass Du Dir alternative Möglichkeiten zur Übernachtung suchst, wenn der Stress zu Hause zu groß wird.

Professionelle Hilfe

Am einfachsten ist es, wenn Du Dich selbst an Dein Jugendamt wendest und dort Deinen Fall schilderst. Die Adresse und die Öffnungszeiten Deines Amtes findest Du am besten über Google oder über die Internetseite Deiner Stadt. Dort gibst Du Jugendamt und Öffnungszeiten ein – und Deinen Ort.

Warum aber selbst hingehen? Ganz einfach: Du kannst auch erst versuchen, dort anzurufen. Das kann aber mühsam sein, wenn Du kein eigenes Handy hast und nicht von zu Hause aus ungestört telefonieren kannst. In diesem Falle könntest Du von einem guten Freund aus anrufen.

Wichtig ist, dass Du der Person am Telefon sagst, dass Du Hilfe brauchst, oder dass Du wegen Kindeswohlgefährdung anrufst. (Fachleute streiten noch immer darüber, inwiefern eine psychische Erkrankung eine Kindeswohlgefährdung darstellt, aber jetzt geht es erst einmal darum, dass jemand von Deiner Not und der Not Deiner schizophrenen Mutter oder Deines schizophrenen Vaters erfährt.)

Offen sprechen, nichts beschönigen

Sobald Du mit jemandem in Ruhe sprechen kannst, solltest Du Deine Lage, die Probleme zu Hause und auch, wie Du Dich damit fühlst, ganz offen und ohne Beschönigung beschreiben. Das Jugendamt ist genau für solche Dinge da!

Ich weiß, das ist alles sehr schwer, denn vielleicht schämst Du Dich, bist traurig oder vielleicht wurde Dir schon gesagt, dass Du nichts erzählen darfst. Dennoch ist niemandem geholfen, wenn die Situation so bleibt wie sie ist: Deiner schizophrenen Mutter wird es weiter schlecht gehen, wenn keine Behandlung erfolgt und Dir wird es weiter schlecht gehen, weil Deine Situation direkt an Deine Mutter gekoppelt ist.

Am besten ist es natürlich, wenn der/die Mitarbeiter*in vom Jugendamt einmal mit zu euch nach Hause kommen kann. Das ist dann schwierig, wenn die Krankheitseinsicht fehlt (s.o.). In jedem Falle sagt Dir das Amt, wie weiter vorgegangen wird und was alles möglich ist.

Hilfe zur Selbsthilfe

Aber vergiss nicht: Auch Du hast Bedürfnisse und brauchst ein ungestörtes Zuhause als auch die Chance, gut und ohne ungewöhnliche Belastungen aufzuwachsen! Dir soll es gut gehen und dafür muss gesorgt werden.

Vielleicht wird Dir auch vorgeschlagen, zu einem Profi zu gehen, mit dem Du regelmäßig über Deine Sorgen, Ängste und Nöte sprechen kannst. Auch dabei kann Dir das Jugendamt helfen. Konkret nennt sich das Ganze dann Psychotherapie.

Addendum (v. 26.09.2020): Der Beitrag berührt ein kritisches Thema, nämlich die – potenzielle – Herausnahme des Kindes aus der Familie. Auf dieses sehr sensible Thema gehe ich hier ein, wo es um die Entlastung von Kindern geht.

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