Wer bin ich? – Warum #COPMI bei der Identitätsfindung doppelt benachteiligt sind.

Kollektive Traumata sollten aufgearbeitet werden. Wenn das nicht passiert, ist niemandem geholfen. Wenn individuell noch Hinderungsmechanismen greifen, ist es ungleich schwerer, die Frage „Wer bin ich?“ zu beantworten.

Foto von Alexandro David

Kontext 1: Zweiter Weltkrieg (oder Kriege überhaupt)

Das Thema Identität wird m.E. zu nachrangig behandelt – wissenschaftlich oder generell. Denn ihre Rolle bei der Ausgestaltung des eigenen Lebensweges wird m.E. nach wie vor unterschätzt. Dieses Unterschätzen hat mit ausbleibender Aufarbeitung zu tun – und damit beißt sich die Katze leider in den Schwanz.

Im Einzelnen: Identität ist zugleich Teil eines größeren Themas einer bestimmten Art der kollektiven Unterdrückung: nämlich des kollektiv erlebten Traumas des zweiten Weltkrieges. M.W. unterstützen die Psychoanalytiker bereits seit vielen Jahren die Aufarbeitung ebendieser kollektiv erlittenen Erfahrung.

Doch Fehlanzeige!

Halt, Moment! Hier geht es nicht um die geschichtliche Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges – sondern um die psychodynamische!

Vielleicht hast auch Du einen Großvater (oder gar Vater), der nach der Arbeit nach Hause kommt, kein Wort spricht, sich an den Esstisch setzt, die Zeitung liest und sich dann in sein Arbeitszimmer zurückzieht, aus dem er vor dem schlafen gehen nicht wieder herauskommt?

Das sind Rückzugstendenzen, die der Traumaforschung bekannt sind. Sie sind auch vielen ehemaligen Soldaten bekannt. Was diese aber nicht kennen, ist der gute, wertschätzende Umgang damit. In den USA wurde erst durch die Rückkehrer aus dem Vietnamkrieg das Ausmaß einer traumatischen Belastung anerkannt und sodann entsprechende Programme eingeleitet.

Vergangenheit und psychodynamische Aufklärung

Was hat das nun mit Identität zu tun? Nun, wer sich nicht mit seiner Vergangenheit und den damit zusammenhängenden Neurosen/Schmerzen befassen mag, der ist nicht mehr in der Lage, sicher zu sagen, wer er ist. Und eben das ist ja die Identitätsfrage: Wer bin ich?

Das wiederum ist ebenfalls etwas komplexer: Dass es hier um Schmerzen geht, hat mit dem Thema \“Krieg und Trauma\“ zu tun. Hätten wir keine zwei Weltkriege in kurzer Zeit gehabt, könnte vielleicht davon gesprochen werden, dass wir uns generell nicht mit uns befassen möchten (abermals psychologisch gesprochen). Nur ist es (leider) so nicht, sondern es steht eine objektiv betrachtet schlimme Erfahrung in den Geschichtsbüchern – aller europäischen Staaten übrigens.

Das Ganze ist also kein exklusiv deutsches Thema, doch obwohl wir sicherlich als tüchtig in der geschichtlichen Aufklärung gelten können, so geht uns ebendiese Tüchtigkeit im psychologischen Kontext plötzlich verlustig. Wieso?

Weil es furchtbar weh tut, sich mit solchen inneren Dynamiken zu befassen. Da kommen ganz ungute Gefühle hoch. Angst, Scham, Schmerz – all das vielleicht auf einmal! Viele halten das nicht aus und suchen lieber eine Kompensation: Arbeit, Sport, shoppen, saufen. Die Liste ist endlos, denn es kommt nicht auf das \“was\“, sondern auf das \“wie\“ an. Vermeidung nämlich, kann mit allem möglichem kompensiert werden. Wichtig ist, dass durch die Kompensation der Schmerz weggeht – leider nur kurzzeitig.

Kompensation als Lückenfüller

Denn das ist das tragische an der Kompensation: sie kann nur als Lückenfüller dienen. Für viele kann das durchaus ein ganzes Leben lang so gehen und dann wird dieses unausgefüllte Moment der eigenen Identität mit ins Grab genommen. Bei anderen helfen die Kompensationen nicht, diese nehmen diese Lücke ebenfalls mit ins Grab, dann aber in Form eines Suizides, weil das Leben für diese so einfach nicht mehr lebbar ist (ich vereinfache, aber ich denke, mein Punkt wird klar).

Erstaunlicherweise führt ein solcher Suizid dann nicht – im kollektiven Sinne (denn hierum geht es mir, also bitte keine Aussagen hierzu im Stile von \“Ja, aber mein Nachbar/Ehemann/ich…!\“ – Danke!) – dennoch nicht dazu, dass sich das Umfeld sodann mit einer weitergehenden Reflexion befassen würde. Im Gegenteil!

Es reproduziert in ebendiesem Moment sogleich die Verdrängung als Prinzip und arbeitet damit an der Aufrechterhaltung des Status Quo: Bloß keine innere Konfrontation!

Kontext 2: Stigmatisierung und Tabuisierung bei COPMI

Das ist der Rahmen, von dem ich ausgehe und in welchem sich die Misere von COPMI abspielt:

Auf einer flexiblen und imaginären Skala befinden wir uns also bereits in einer Kultur, die Verdrängung und Nicht-Befassung mit dem eigenen Selbst praktiziert. In diesem Kontext erleben COPMI einen umso stärkeren negativen Effekt bei der Suche nach sich selbst.

Denn durch das Thema Psychose im weitesten Sinne werden sie noch viel mehr als sowieso schon daran gehindert, sich mit sich selbst zu befassen, befassen zu dürfen und darüber hinaus auch passiv „damit befasst zu werden“: soll heißen, niemand befasst sich ausreichend mit Dir. Hierbei geht es vor allem um wichtige Rückmeldungen zu Deinem tun und sein sowie der Anerkennung ebendieses tuns und seins.

Dreifacher Mist

Und selbst wenn dem Umfeld – also etwa Deinen Eltern – dieser Umstand halbwegs geläufig sein sollte, dann sind sie wegen dieses eher hinderlichen Vermeidungskontextes wahrscheinlich nicht gerade die Meister in Themen der Einfühlung und des Rückspiegelns. Wieso auch? Deren Eltern haben es ihnen ja nicht beibringen können, weil sie viel zu sehr mit der Vermeidung der Gefühle ihrer eigenen Traumata beschäftigt waren.

Doppelter, vielleicht sogar dreifacher Mist: Die eigenen Eltern können nicht richtig einfühlen und rückmelden; wenn sie es tun, dann sind sie auch noch miserabel darin; dann hindert die Scham vor Psychosen die Gesellschaft daran, mir einigermaßen gute Angebote zum Schutz meiner kindlichen Entwicklung zur Verfügung zu stellen; und meine eigene Scham über die psychisch erkranke Mutter wiederum macht es mir schwer, mich überhaupt noch zu zeigen – was wiederum eine Verdrängungsleistung zur Folge hat, sodass ich nahezu keine Chance habe, zu erkennen: \“Wer bin ich?\“

\“Wer bin ich?\“ hat also viel mit der indirekten Beobachtung meiner selbst auch durch Dritte zu tun. Wenn diese Dritten (hier vor allem Eltern) dann keine guten Versorger in diesem emotionalen Sinne sind, dann bleiben die Früchte der wichtigen Selbstwahrnehmung aus.

Traumata dritten Grades

COPMI ziehen hier strukturell den Kürzeren und das auf lange Zeit. Denn wer glaubt, dass sich diese Traumata ja gleichsam \“auswachsen\“ oder über die Generationen hin harmlos werden würden, die oder der irrt gewaltig: Die Traumaforschung spricht schon seit einiger Zeit von Traumata zweiten oder dritten Grades, was diese nicht zwingend wirkungslos macht.

Wie der ganze Spaß weitergeht? Ich weiß es nicht. Es wäre jedoch sehr, sehr viel gewonnen, wenn sich das Thema \“kollektives Trauma\“ weiter durchsetzen würde. Dann würde auch das Thema Identität wesentlich mehr ins Blickfeld rücken und auch seiner Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung m.E. die angemessene Wertschätzung erfahren. Beide Momente hängen m.E. untrennbar miteinander zusammen, sogar so, dass sie sich zu bedingen scheinen: Ohne innere Reflexion ist keine Traumaaufarbeitung aber auch keine Identitätsarbeit möglich.

Der Ausweg ist aber nicht einfach, denn wenn Vermeidung gelebt wird, besteht nahezu kein Interesse, gleichsam \“in den Schmerz zu gehen\“. Damit erscheint eine lange Zeit die \“Strategie\“ der Vermeidung vorprogrammiert. Die Mehrheit des Kollektivs erschwert zugleich eine Abkehr von dieser Marschroute, weil sie diese jeden Tag aufs Neue legitimiert

Das Ganze wäre im Übrigen sogar noch ein weiteres Argument gegen Krieg: Wir wollen keine, nur von kompensierenden Individuen bevölkerte (Welt-)Gesellschaft. …aber das nur am Rande.

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