Offene Grundhaltung in der stationären Therapie

Zusammenfassung: Sei offen gegenüber dem, was da kommt. Eine offene Grundhaltung wird einen großen Einfluss auf den Verlauf und den Erfolg Deiner stationären Therapie haben. Dabei ist Offenheit in allen Richtungen sinnvoll: nach außen und nach innen, gegenüber Inhalten und Strukturen, im tun als auch im sehen. Selbst gegenüber von Konflikten ist Offenheit in der Klinik zielführend, denn hier liegt oftmals das therapeutische Gold begraben.

Closeup of a closed rusty padlock on metal door. Balinese temple. Bali island.

Die bereits beschriebene freiwillige Entscheidung, einen stationären Klinikaufenthalt anzutreten, ist eng verbunden mit der Grundhaltung, mit der Du in ebendiese Klinik gehen würdest. Du hast damit schon gezeigt, offen für etwas Neues zu sein. Diese offene Grundhaltung lohnt sich, mit in die Klinik zu nehmen.

Denn erfolgreiche Psychotherapie hat viel damit zu tun, inwiefern Du Dich auf die Angebote einlassen kannst. Das beginnt mit dem Prinzip, wie psychotherapeutische Kliniken arbeiten, bzw. wie Psychotherapie überhaupt funktioniert. Dort wird das Therapieprinzip, das man aus klassischen Klinken kennt, gleichsam auf den Kopf gestellt.

Offene Grundhaltung heißt: sich zu öffnen

Bei einem normalen Krankenhausaufenthalt kommt die Diagnose (in der Regel) von den Fachmenschen. Das ist in psychotherapeutischen Kliniken nicht viel anders, denn auch dort wird Dir eine Diagnose gestellt, schon alleine, weil die Krankenkassen das für sich verarbeiten müssen. Allerdings kann es helfen, sich nicht zu sehr auf die formalen Feststellungen zu fixieren, da die Diagnosen oftmals nicht leicht zu verstehen sind. Die Termini, mit denen im professionellen psychotherapeutischen Kontext kommuniziert wird, führen gerade bei Neulingen zu Verwirrungen und Irritationen. Denke nur mal an Begriffe wie Depression oder Trauma. Diese sind beide so überladen von Konnotationen und Klischees, dass die Schlüsse, die Du daraus ziehst auch falsch sein könnten und Dich das nur behindern würde.

Viel wichtiger ist: es wird im Klinikalltag eher weniger um die Begriffe der Diagnose gehen, sondern um Dich als Person und Dein Verhalten, um Deine sozialen Beziehungen, um Deine Gefühle und was Dich seelisch beschäftigt.

Damit es darum gehen kann, ist ein Zugang zu Deinem Befinden notwendig. Diesen Zugang kannst nur Du bereitstellen, indem Du möglichst offen und ehrlich von Dir berichtest. „Offene Grundhaltung“ in der Klinik heißt also zunächst, Dich selbst zu öffnen.

Keine Angst, Du wirst Dir damit nicht selbst weh tun. „Die Seele schützt sich selbst“, wie es ein Therapeut von mir einmal ausdrückte. Auch wenn Du sehr schonungslos mit Dir selbst umgehst, was die Vermittlung von Inhalten angeht, wirst Du nichts mitteilen, was Dir selbst unangenehm ist. Oder vielleicht doch? Dann warst Du bereit dazu und der Schmerz erträglich.

Und wenn Du feststellst, dass es Dir schwer fällt, über das ein oder andere zu sprechen, so ist das ein Geschenk, wenn Du das wahrnimmst. Denn dann erkennst Du Deine Themen und deren Grenzen.

Zugleich gibt es einen Unterschied zwischen inhaltlicher Offenheit und emotionaler Offenheit. Oder anders gesagt: Viel zu reden ist nicht gleichbedeutend damit, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Es ist gut möglich, viel oder alles zu sagen, aber dennoch emotional verschlossen zu sein. Zum Beispiel, wenn Du von einem großartigen Ereignis berichtest, während Deine Zuhörerschaft aber überhaupt nicht Deine Begeisterung spüren kann, weil Deine Emotionen zurückhältst.

Dein Beitrag in der psychotherapeutischen Klinik ist also ungleich größer, als bei regulären Klinikaufenthalten. Wirkt in der normalen Klinik das Medikament auch dann, wenn der Patient das eigentlich gar nicht will, ist „zu wollen“ in der psychotherapeutischen Klinik unabdingbar. Dort geht es um Hilfe zur Selbsthilfe.

Offene Grundhaltung bei konkreten Angeboten

Auch „alte Klinikhasen“ wissen nie, was genau auf sie zukommt, sofern sie noch nicht in ebendieser Klinik waren. Neulingen ist das noch fremder und die meisten haben wirklich keinerlei Vorstellung davon, was und wie genau dort alles abgeht. Das hat zum einen mit den Angeboten an sich zu tun, die so in nur wenigen anderen Kontexten im Alltag vorkommen.

Wer bereits psychotherapeutische Angebote im Alltag kennengelernt hat, die/der weiß zumindest, um was es inhaltlich gehen kann und wer Improvisationstheater spielt, kann sich vielleicht leichter auf Angebote wie eine Theatertherapie einlassen. Aber was dort genau oder im Ausdrucksmalen, beim holotropen Atmen oder in der Musiktherapie stattfindet, ist doch für die Meisten neu.

Das ist zugleich ein Geschenk, denn dabei kannst Du üben, wie es ist, Dich auf Unbekanntes einzulassen – etwa, wenn Kontrolle und Überstrukturiertheit eines Deiner Themen sein sollten. Ich würde sogar davon abraten, vorab genau zu recherchieren, was die Angebote der Kliniken im Detail bedeuten (oder bedeuten können), denn das schürt nur Erwartungshaltungen.

Etwa haben viele Patient*innen vor Ort ganz klare Wünsche, welche der Angebot sie unbedingt wahrnehmen wollen. Doch es kann nicht jeder alles machen. Vieles findet parallel statt und es muss eine Entscheidung getroffen werden, was für den jeweiligen Patienten am besten passt. Hierbei kann aus Deiner Sicht zurücklehnen angesagt sein. Gerade hier, wo Passivität möglich – und auch angeraten – ist, versuchen die meisten Patient*innen stattdessen steuernd einzugreifen.

Warum, frage ich mich. Haben die Therapeut*innen sich denn nicht Gedanken gemacht, was für Dich passend sein könnte? Wieso nun Energie darauf verschwenden, diesen Fahrplan zu verändern?

Die Angebote anzunehmen heißt zuallererst also, den Vorschlägen der Klinik zu folgen und freudig abzuwarten, was sich dort ergibt. Dabei können sich im Verlauf des Aufenthaltes auch Änderungen ergeben (Weiteres dazu siehe unten). Hierbei gilt natürlich dasselbe: Lass‘ Dich darauf ein!

Die emotionale Offenheit – Dir selbst gegenüber

Was für die Meisten sicherlich neu sein wird, ist der offene Umgang der Patient*innen untereinander. Das ist deshalb ungewohnt, weil wir uns im Alltag eher verschlossen und „stabil“ geben. Wir geben in der Regel wenig von uns preis, was unser Gefühlsleben angeht. Das ist bedauerlich, denn unsere Emotionen machen uns doch erst menschlich, oder?

Diese Offenheit wird in der Klinik auf die Probe gestellt. Würde es Dir leicht fallen, in der Theatertherapie gemeinsam mit anderen einmal als Affe und ein andermal als Tiger herumzulaufen? Oder anders gefragt: Wie einfach ist es für Dich, vor anderen zu sagen, wie es Dir wirklich geht?

Dazu braucht es die offene Grundhaltung Dir selbst gegenüber. Ohne diese geht in der Therapie nichts – oder nur wenig.

Das erfordert auch Mut. Denn Du begibst Dich damit auf ungewohntes Terrain, das bei den Meisten das Gefühl der Peinlichkeit hervorruft. Vielleicht kannst Du versuchen, dies als Chance zu sehen, Dich einmal in Situationen zu beobachten, die neu sind. Daraus lassen sich zumeist viele Erkenntnisse ableiten, die therapeutisch wertvoll sind und weiter „verwertet“ bzw. bearbeitet werden können.

Gerade wenn es mit Deinem Thema zu tun hat, dann sind solche Momente gleichsam Schatzkammern für den Therapieverlauf. Zugleich kann sich Dein Thema aber auch „ändern“.

Offene Grundhaltung bei inhaltlichen Veränderungen

Die Therapeut*innen erkennen in der Regel sehr schnell, was Dein akutes Thema ist und haben auch eine recht klare Vorstellung von den therapeutischen Maßnahmen. Dieses „Thema“ aber mag sich nicht decken mit dem, was Dich vor dem Einchecken in die Klinik beschäftigt hat. Vielleicht bist Du sogar sehr irritiert darüber und womöglich wird sogar in der Klinik mit einer anderen Diagnose gearbeitet als jener, die auf Deiner Überweisung steht.

Das ist okay.

Die Psyche ist ein komplexes Ding. Wir Menschen haben viele Facetten und unser Charakter ist nie einseitig. Außerdem kann in einer Klinik nicht alles behandelt werden – leider. Schon zeitlich betrachtet ist es m.E. einleuchtend, dass in drei Monaten (derzeitiger maximaler Aufenthaltszeitraum) ein erwachsener Mensch nicht „runderneuert“ werden kann. Außerdem ist „Runderneuerung“ auch nicht das Ziel. Aber das führt jetzt zu weit weg vom Thema…

Der Fokus, auf den sich die Klinik konzentrieren möchte, sollte m.E. deshalb angenommen werden, weil die Therapeut*innen zumeist mehr sehen, als Du selbst. Die angesprochene Komplexität der Psyche ist herbei ein Segen, denn der Aspekt, um den es der Klinik geht, hängt mit Deiner gesamten Persönlichkeit zusammen. Das hat dann wieder Folgeeffekte auf andere Teile Deiner Persönlichkeit. Um es anders zu sagen: Die Klinik entscheidet in diesem Sinne, was nun „dran ist“.

Ist das nicht schön, dass Du das nicht entscheiden muss? Du kannst hier einfach in die Therapien gehen und hast bereits einen Fokus, auf den Du Dich konzentrieren kannst.

Ein wenig Geduld ist hier auch nötig, denn der größere Zusammenhang erschließt sich für Dich wahrscheinlich erst nach ein paar Wochen. Immerhin wurde viel angestoßen und das muss erst einmal sacken.

Ich würde mir also gar keine Sorgen darüber machen, „worum es in der Klinik gehen soll“. Die Therapeut*innen werden Dir dabei helfen, das herauszufinden.

Offene Grundhaltung bei formellen Veränderungen

Gehen wir davon aus, Du bist nach ein, zwei Wochen gut in der Klinik angekommen. Du kennst Deine Therapeut*innen inzwischen gut genug und hast Vertrauen gebildet und Deinen Stundenplan kennst Du auch schon auswendig.

Plötzlich kann ein Angebot nicht mehr stattfinden, weil vielleicht der Raum dafür nicht mehr verfügbar ist. Oder – „noch schlimmer“ – Dein Lieblingstherapeut ist nicht mehr da und Du musst nun zu jemand anderem.

Viele Patient*innen würden da ausflippen und fühlen sich in ihrer Weltsicht bestätigt: „Jetzt bin ich gerade so gut dabei, – und dann sowas!!“ „Klar, dass das mir passiert!“ „Alle sind gegen mich!“ „Die Welt ist schlecht!“ „So wird das nie was!“ „Die Politik hat unser Gesundheitssystem ruiniert!“

Vielleicht findest Du Dich ja in dem ein oder anderen Satz wieder. Zugleich habe ich nur eine Antwort darauf: So ist das Leben!

Eine psychosomatische Klinik versteht es erstaunlich gut, Alltagserfahrungen auch im geschützten Klinikkontext „erleben“ zu können. Das mag zunächst frustrierend klingen, denn wieso sollte sich jemand das antun? Ist es nicht zuvorderst Ziel, aus ebendiesem Alltag zu entkommen, um in Ruhe heilen zu können?

Ja, das ist es. Zugleich gibt es einen deutlichen Unterschied, der bereits anklang: die Klinik stellt einen Rahmen zur Verfügung, der gleichsam schützt.

Diese Herausforderungen sind zugleich auch Chancen, denn sie bieten Futter für die therapeutische Arbeit: Warum frustriert Dich das so? Was ist so schlimm daran? Das könnten Fragen sein, die daran anschließen.

Im Kern aber geht es um die Möglichkeit, auch hier den Muskel des Annehmens zu trainieren und offen dafür zu sein, dass sich Veränderungen ergeben. Vielleicht ist die neue Therapeutin sogar besser als der alte und vielleicht ist die neue Therapie, die ich nun machen werde, weil die andere wegen Raumproblemen ausfallen muss, sogar passender? Wer weiß das schon? Niemand. Doch ändern lässt sich daran zumeist wenig.

Ich habe meinen letzten Klinikaufenthalt während der Corona-Pandemie gehabt. Das war mit vielen Einschränkungen verbunden. Zugleich hat es zu Freiräumen beigetragen, die sonst nicht möglich waren. Ich konnte so z.B. viel Zeit im Malraum für mich verbringen und diese Bilder begleiten mich noch immer. Auch waren die Gruppen kleiner, was zu mehr Intensität untereinander geführt hat.

…und was das Gesundheitssystem angeht: Da würde ich sogar zustimmen.

Offenheit gegenüber Konflikten

Auch Konflikte gehören zum Alltag. Ich habe viele Patient*innen erlebt, die versuchen, ein Leben zu leben, in dem keine Konflikte vorkommen – mich selbst eingeschlossen. Doch es ist nahezu unmöglich, durch einen einzelnen Tag zu kommen – geschweige denn: durch das ganze Leben – ohne Konflikte zu erleben. Das Leben ist voller Konflikte.

Eine Therapeutin sagte einmal: „Ich komme täglich in Konflikte. Das ist kein Weltuntergang.“

Konflikte sind alltäglich und sie müssen nicht immer ausgewachsene Krisen sein. Schon ob mit das Zimmer in der Klinik gefällt, kann für manche zum (inneren) Konflikt werden. Nun soll dieser Abschnitt aber nicht allgemein um Konflikte gehen, sondern was diese im Klinikalltag bedeuten und warum es gut ist, sich auf diese einzulassen.

Konflikte sind das Gold therapeutischer Arbeit. An diesen zeichnen sich zumeist die Themen ab, die uns umtreiben, die uns berühren, die wichtig sind. Diese anzunehmen und ihnen mit einer offenen Grundhaltung zu begegnen heißt hier, hinzuschauen, was genau passiert – innerlich und äußerlich. Und das dann auch anzusprechen, vielleicht zunächst mit dem Therapeuten und dann wohl auch mit den betreffenden Personen. Dabei mag es um Lösung des Konflikts und der Klärung mit der anderen Person gehen, das lässt sich nicht allgemein sagen.

Aber was gesagt werden kann, ist, dass Konflikte nicht zum vermeiden da sind, sondern um offen angenommen zu werden.

Das kann als gutes Schlusswort zu diesem Beitrag genutzt werden, denn es lässt sich auf den Klinikaufenthalt an sich übertragen: Nimm die stationäre Therapie so offen wie möglich an, lass Dich ein, auf das, was da kommen mag. Sei neugierig, wie Du auf das ein oder andere reagieren wirst und freue Dich über neue Erkenntnisse, die sich aus Situationen ergeben, die Dir vielleicht zunächst Angst gemacht haben.

Und freue Dich auf tolle Begegnungen mit Menschen, die Dein Leben bereichern werden.

Dieser Beitrag ist Teil der Vertiefungen zum Überblicksartikel „Stationäre Therapie – wieso, wie und wo“.

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1 Kommentar zu „Offene Grundhaltung in der stationären Therapie“

  1. Pingback: Überblick: Stationäre Therapie – wieso, wie und wo – Christian Kloß

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