Gleich vorweg: Um akute Krisen geht es in diesem Beitrag nicht – diese sind eine Sache für sich. Es gibt zwar Regelungen für eine Akutbehandlung, jedoch kommt man auch dann nicht um die Suche nach einem Therapeuten herum.
Immer mal wieder kommt es vor, dass ich gefragt werde, wie man einen Therapeuten findet oder was denn als Kind psychisch erkrankter Eltern helfen kann. Dies aber sind zwei Fragen, die in verschiedene Richtungen gehen. Letztere ist gleichsam die schwierigere, denn es gibt keine direkte und schon gar nicht DIE Antwort darauf. Daher wird das in einem anderen Beitrag behandelt.
Stationär versus ambulant
Schon rein was den Rahmen der Therapie angeht, können unterschiedliche Möglichkeiten genutzt werden:
- Stationäre Psychotherapie in einem Krankenhaus
- Ambulante Psychotherapie in einer Beratungseinrichtung
- Ambulante Psychotherapie bei niedergelassenen Psychotherapeut*innen
Ich möchte mich hier auf die ambulante Psychotherapie bei niedergelassenen Psychotherapeut*innen konzentrieren.
Auch soll es im Folgenden weniger um das rein technische (Abrechnungen, Formalitäten, Beiträge, etc.) gehen, als vielmehr um die Frage, welche Entscheidungen ich als Patient*in zu treffen habe.
Dem Prozess vertrauen
Da mit den Formalia oftmals Frustrationen verbunden sind, schon weil die meisten Praxen (manche sagen: alle) voll sind und es teilweise bei einzelnen Therapeuten Monate dauern kann, bis ein Platz frei wird, bringt es gar nichts, sich darüber aufzuregen. Das mag jetzt lapidar und abwiegelnd klingen, aber gibt es eine bessere Option?
Das Versorgungssystem hat sich zwar schon dahingehend angepasst und den Zugang erleichtert, aber nach den ersten sog. Sprechstundenterminen heißt das nicht, dass der oder die Therapeut*in auch genug Zeit für die reguläre Therapie hat. Sprechstunden sind also die ersten Termine – tatsächlich DER erste Termin – bei dem Dir eine Art Erstdiagnose gestellt und beurteilt wird, ob und in welcher Form eine Therapie sinnvoll wäre.
Aber sollte es zunächst keine Termine geben: Es lohnt sich, zuversichtlich zu bleiben. Denn auch Therapeuten können weiterleiten oder Empfehlungen geben. Frage also die oder den ersten Therapeuten, falls diese*r keine Kapazitäten hat, ob er oder sie jemanden empfehlen kann.
Vertraue also darauf, dass es einen Therapeuten geben wird, der Dich aufnimmt!
Wie also finde ich die richtige Therapeut*in oder den richtigen Therapeut*en?
Das Telefonbuch, das Internet, Freunde und Bekannte oder auch Hausärzte können erste Anlaufstellen sein, um Telefonnummern herauszubekommen. In allen größeren Städten gibt es oftmals auch Beratungszentren, die weitere Auskünfte erteilen. Leider ist die Struktur nicht bundesweit einheitlich, weswegen eine regionale oder lokale Suche unabdingbar ist.
Natürlich hilft es, wenn man schon etwas mehr weiß über seine eigene Thematik oder gar auch schon konkrete Begriffe parat hat. Dazu gleich mehr!
Motivation: Ja, ich will.
Eine Bauchoperation wird wohl auch dann klappen, wenn der Patient eigentlich nicht will und Angst hat. Ist er aber erst sediert, kann der Chirurg seine professionelle Arbeit leisten.
Wiederum bei psychotherapeutischen „Maßnahmen“ kann Widerwille sehr kontraproduktiv sein. Das klingt jetzt vielleicht so, als müsse man sich erst innerlich bekehren, um überhaupt etwas sinnvolles zu erreichen. Und inwiefern unterscheidet sich das dann noch von einem Placeboeffekt, könnte man einwenden.
Allein dieser Aspekt der Grundhaltung würde einen eigenen Blog-Beitrag legitimieren, aber ich möchte hier nur kurz andeuten, dass Du notwendigerweise bei der Suche nach einer Therapie erst mal viel am Telefon hängen wirst (warum? Siehe unten!) Wenn Du aber eigentlich gar keinen Bock auf Therapie hast, wirst Du den Hörer aber so schnell nicht wieder in die Hand nehmen – und dann hat sich die Sache sowieso schon.
Darüber hinaus hat nach meiner Beobachtung eine psychotherapeutische Behandlung deutlich mehr Chance auf Erfolg, wenn Du „mitmachst“. Gerade in den Kliniken, in denen ich war, konnte man das schön beobachten. Viele Patient*innen, die sich auf das Ganze eingelassen haben, machten einfach mehr „Sprünge“ in dieser Zeit.
Damit kurz noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt: Psychotherapie ist meines Erachtens letztlich und eigentlich Hilfe zur Selbsthilfe. Der Therapeut bespielt Dich nicht, er verabreicht Dir nichts und die Therapie wird Dir auch nicht zuteil. Im Gegenteil: Du musst mitmachen (wollen)! Du musst mitarbeiten wollen! Du musst Dir selbst helfen!
Das ist natürlich eine besonders beschissene Nachricht für Kinder psychisch Erkrankter, die ja sowieso schon immer alles haben selbst in die Hand nehmen müssen! Und jetzt schon wieder!?
Ja, jetzt schon wieder. Leider.
Der einzige Unterschied: Hier sind alle Patient*innen gleich. Niemand kann sich beim psychotherapeutischen Setting aus der Verantwortung nehmen.
Warum eigentlich Psychotherapie? Grund und Ziel
Aus irgendeinem Grund bist Du ja motiviert, einen Therapeuten zu suchen. Das Motiv wird zumeist kein allzu positives sein („Ich habe im Lotto gewonnen und muss nun aufpassen, dass ich nicht völlig ausflippe!“)
Daher: Kenne Deinen Grund, warum Du überhaupt eine Therapie machen möchtest!
Das können ganz unterschiedliche Sachen sein – auch mehrere zugleich, aber picke im Zweifel die zwei oder drei wichtigsten Momente heraus und formuliere diese so klar wie möglich, wenn Du mit dem ersten Therapeuten über Deine Behandlungsabsichten sprichst.
Beispielsweise (!) kann das folgendermaßen lauten:
„Ich möchte eine Therapie machen, weil
- ich kann nachts nicht mehr ein oder durchschlafen.“
- ich habe Herzrasen.“
- ich weine ständig und weiß nicht warum.“
- meine Frau hat mich verlassen.“
- ich war mit Freunden im Urlaub und wir hatten einen schlimmen Unfall, bei dem zwei meiner Freunde gestorben sind.“
- mein Vater hat sich vor einen Zug geworfen, daraufhin wurde meine Mutter paranoid schizophren und sie hat sich 20 Jahre nach dem Tod ihres Mannes auch das Leben genommen. Und ich habe als Jugendlicher zehn Jahre mit ihr nahezu alleine gelebt.“
Du siehst, die Formulierung kann eine Symptombeschreibung oder einfach die Beschreibung von Umständen sein. In jedem Falle aber gilt: Je konkreter desto besser, denn dann kann der Therapeut das für sich am besten einordnen (warum das so wichtig ist, kommt noch).
Manche sagen auch: „…mein Hausarzt meint, es wäre eventuell sinnvoll, eine Psychotherapie zu machen.“
Und wenn der Therapeut dann fragt: „Warum meint Ihr Hausarzt das denn…?“, dann wirst Du sicher eine Antwort auf diese Frage haben, denn der Hausarzt wird das ja nicht völlig ohne Kontext gesagt haben.
„Konkret einordnen“ heißt also „spezifisch sein“ und nicht, möglichst viel zu sagen. Das mag gerade zu Anfang schwer sein, weil man oftmals die Zusammenhänge nicht ganz klar vor Augen hat und evtl. „lediglich“ Symptome beschreiben kann. Aber diese reichen ja aus, um etwas ändern zu wollen.
Manchen hilft es, sich die Frage nach dem Grund der Therapie über einen anderen Weg zu beantworten, indem man sich fragt: „Was will ich denn mit der Therapie erreichen?“ Der Leitsatz hierfür würde dann analog lauten:
Kenne das Ziel, das Du mit der Therapie erreichen möchtest!
Dieses Ziel muss nicht ein fachlich klares oder medizinisch bekanntes sein, es geht also nicht darum zu sagen: „Ich möchte meine suizidalen Tendenzen minimieren.“ Es reichen Dinge wie (abermals Beispiele):
„Ich möchte…
- mich beim Sex nicht schämen.“
- nachts schlafen können.“
- meine Ängste loswerden.“
- mich selbst wieder spüren können.“
- meine Wut gegen meinen Großvater rauslassen.“
Letztlich hängen die beiden hier genannten Leitsätze eng miteinander zusammen und es kann nicht schaden, über beide einmal nachgedacht zu haben.
Auch wenn es vielleicht überraschend erscheinen mag, aber das nachdenken über diese Fragen hat bereits therapeutischen Charakter.
Im Kern wird auch erstmal nicht viel mehr passieren, als über seine eigenen Gründe und Hintergründe, die zur Therapie geführt haben, zu berichten. Der Vorteil aber, das mit einem Therapeuten und nicht mit der besten Freundin oder dem besten Freund zu machen, ist, dass Therapeut*innen dafür geschult sind, die wichtigen Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren.
Oder anders gesagt: Es geht ausschließlich um Dich in der Therapie! Nur um Dich!
Das Bauchgefühl, Teil 1
Nicht jeder Therapeut passt zu jedem Patienten. Dieser Satz stimmt schon deshalb, weil wir als Menschen nicht mit jedem Menschen können, weil wir in der Regel nicht allen und auch nicht alle anderen uns sympathisch sind. Zugleich hat der Therapeut oder die Therapeutin auch einen Effekt von bis zu 15 % auf den Erfolg der Therapie.
Es muss also eine Entscheidung auch dann getroffen werden, wenn zumindest zeitlich ein Therapeut in der Lage wäre, seine Leistungen für Dich anzubieten.
Du musst Dir also ehrlich die Frage beantworten: Will ich mit diesem Therapeuten zusammenarbeiten?
Das aber setzt voraus, dass Du in der Lage bist, für Dich selbst zu beurteilen, ob das Gegenüber in Frage kommt. Dazu gibt es die sog. probatorischen Sitzungen, für die noch kein Antrag bei der Kasse gestellt werden muss (ja, ja, ich lasse die Formalia ja gleich weg!) Die Probatorik soll dazu dienen, dass sich beide Seiten gut genug kennenlernen, um entscheiden zu können, ob und wie es weitergeht.
Das „wie“ heißt vor allem, wie oft Sitzungen sein können aber evtl. auch, welche Techniken avisiert werden. Aber das wären für den Moment zu viele Einzelfalldetails.
Es heißt aber auch, dass nicht nur Du, sondern auch die/der Therapeut*in entscheidet, ob sie/er überhaupt mit Dir arbeiten möchte. Gleiches Recht für alle!
Anstatt aber „everybodies darling“ zu geben, ist es wichtiger, möglichst authentisch mit den eigenen Themen und mit sich selbst zu sein. Es wäre so oder so für die Zusammenarbeit wenig hilfreich (eher hinderlich), wenn Du versuchen würdest, ständig eine Rolle zu spielen. Aber die meisten, die eine Therapie anfangen, lassen das sowieso, sonst hätten sie diese gar nicht erst begonnen.
Wir sind ja nicht Robert DeNiro und Billie Crystal.
Was für eine Psychotherapie genau soll ich machen?
Warum diese Frage nicht gleich zu Beginn des Prozesses steht, liegt daran, dass das hier eine Anleitung für Anfänger*innen sein soll. Zumeist liegt in solchen Fällen die Diagnose als auch die Frage nach dem „Typ“ der Therapie noch gar nicht klar vor Augen. Wie soll man auch die richtige Therapie finden, wenn man noch nicht einmal seine eigene Diagnose kennt?
Psychologische und medizinische Psychotherapien
Darüber hinaus reden wir von psychischen Erkrankungen im nicht-psychotischen Sinne. Denn wenn es sich um Psychosen handelt, dann sehen die Welt und die damit zusammenhängenden Fragestellungen gleich ganz anders aus, denn dann werden evtl. auch umgehend psychiatrische Behandlungen notwendig (also medikamentöse Ansätze).
Letzteres kann auch das Ergebnis einer psychotherapeutischen Konsultation sein, steht dann aber nicht gleich zu Beginn an, auch weil nicht jeder Psychotherapeut ein medizinischer Psychotherapeut ist.
Wem das hier an dieser Stelle zu viel wird, die- oder derjenige möge zum letzten Abschnitt dieses Artikels springen, wo es abermals um die Frage des Bauchgefühls geht.
Von vorne: Es gibt psychologische und medizinische Psychotherapeuten. Beide haben, was das Psychotherapeutische angeht die gleiche formale Qualifikation, kommen aber von unterschiedlichen Richtungen, um diese zu erlangen:
- Psychologen studieren erst Psychologie und machen DANN ihre Ausbildung zum Psychotherapeuten.
- Ärzte studieren erst Medizin und machen DANN ihre Ausbildung zum Psychotherapeuten.
Beides hat etwas für sich – aber das muss letztlich der/die Patient*in entscheiden. Als Daumenregel würde ich hier nennen: Wenn Deine Beschwerden auch sehr körperlich sind, dann empfiehlt sich vielleicht ein Mediziner.
Zugleich kann es sinnvoll sein, durch den nicht-medizinischen Blick einmal eine ganz andere Perspektive einzunehmen.
Warnen möchte ich hier aber vor der Haltung: „Super! Dann gehe ich zu einem Mediziner! Der kann mir eine Pille verschreiben und dann ist alles wieder gut!“ Ebendies widerspricht dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe. Natürlich können Psychopharmaka angezeigt sein und natürlich „wirken“ sie auch. Aber zum einen haben wir nicht zuletzt deshalb eine rege Debatte über die Sinnhaftigkeit von diesen Medikamenten, weil eigentlich individuell angepasste Medikamente entwickelt werden müssten (was sich finanziell nie rechnen würde und der Link zeigt auch nur einen Beispielbeitrag auf) und zum anderen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine Ergänzung beider Ansätze oftmals den größten Effekt zeitigen – sofern dieser ergänzende Ansatz ebenfalls angezeigt ist (ebenfalls nur ein Beitrag im Link).
Kurzum: Ob und inwiefern überhaupt Medikamente eingesetzt werden sollen (sofern nicht von einer Psychose gesprochen wird), muss sich erst herausstellen. Das ist nicht gleich und auch nicht abschließend zu sagen.
Drei Kategorien der Krankenkassen
Sodann stellt sich die Frage nach der psychotherapeutischen „Ausrichtung“ des Therapeuten. Allerdings auch hier ein Hinweis vorab: Das Angebot therapeutischer Methoden ist so vielfältig, dass es DIE ultimative Methode nicht gibt.
Alleine auf Wikipedia finden sich sechzehn Obergruppen mit darin befindlichen ca. 180 Psychotherapiemethoden (inkl. Entspannungs- und Gruppenmethoden). Und was deren Themengebiete angeht, liegen diese teilweise quer zueinander. Das heißt, dass zum Beispiel Ansätze zur Traumatherapie in unterschiedlichen Methodenkoffern zu finden sind.
Auch ist es dahingehend hilfreich, das Versorgungssystem hinter Psychotherapien wenigstens etwas zu verstehen, also welche Rolle die Krankenkassen dabei spielen, denn als erstes wird man mit den dazugehörigen Kategorien der Kassen konfrontiert.
Die Krankenkassen haben, so kann man sagen, die Therapielandschaft in drei Kategorien unterteilt:
- Verhaltenstherapeutisch
- Tiefenpsychologisch
- Analytisch
Die Welt der Krankenkassen hat vorwiegend, so viel Polemik möchte erlaubt sein, mit Finanzfragen zu tun und also mit Fragen der Abrechnung. Das heißt, die hier genannten drei Kategorien dienen vorwiegend ebendiesem Ziel, die Landschaft der Therapieangebote zu strukturieren und gröber hätte dies nicht ausfallen können. Das ist aber letztlich egal, wie wir sehen werden!
Die drei Kategorien haben – als grobe Aussage – insofern wenig bis nichts mit den tatsächlich angewendeten Methoden zu tun, als sie viel zu allgemein sind, um konkret eine Aussage darüber treffen zu können, was denn nun genau angewendet wird.
Das heißt, ein Therapeut könnte zwar als Verhaltenstherapeut seine Zulassung haben, aber – gerade wenn er ein guter Therapeut ist – wird er methodisch nicht nur in anderen „Gebieten wildern“, sondern diese ganz bewusst auch einsetzen, um Dir zu helfen. Auch wenn diese von der Kasse gar nicht anerkannt werden – denn wie soll nachgeprüft werden, was da genau in der Stunde zwischen Dir und Deinem Therapeuten abläuft?
Doch das ist m.E. eher positiv als negativ, denn zum einen sind die von den Kassen zugelassenen Therapeuten ja geprüft, was ihre Grundqualifikation nachweisen soll, und zum anderen ist ein aufgeweckter Therapeut schneller als die Politik, wenn es darum geht, das Beste für den Patienten herauszuholen.
Das Bauchgefühl, Teil 2
Das Gesagte heißt für Dich nun vor allem eines:
Fange an, Dir selbst ein Bild zu machen!
Und daraus folgt sodann der nächste Leitsatz:
Wenn Dir die Therapeutin oder der Therapeut sympathisch ist, fange die Therapie an!
Du wirst lernen und erkennen, wann ein Wechsel nötig sein wird und welche anderen Wege es noch gibt. Und: Jede Therapie wird etwas für Dich bereithalten!
Das meine ich ganz und gar nicht blumig und verklärend, denn die Komplexität eines Menschen und seiner Psyche lässt sich m.E. nicht durch nur einen Blickwinkel einfangen. Da ist es besser, man fängt überhaupt einmal an, sich seinen Themen zu stellen und dadurch festzustellen, wie weit man mit dem ersten gewählten Ansatz (oder Profi) kommt. Und dann schaut man weiter.
Dies wiederum impliziert eine Wahrheit, die auch nicht verschwiegen werden darf: Das Ganze braucht Zeit.
Leider.